Alle Vögel sind schon da

Singvögel bei der Geisberg-Schutzhütte, Siebengebirge
Singvögel bei der Geisberg-Schutzhütte, Siebengebirge

Zum Abschluss geht es noch einmal in den Garten des Naturparkhauses, zur Grauwacke und noch ein Stückchen weiter zur Schutzhütte. Hier hängt eine Vogeluhr; sie sagt, wann einige unserer Vögel in den frühen Morgenstunden singen.

Ich liebe es, den Vögeln zuzusehen und ihrem Gesang zu lauschen, ganz besonders in ruhigen Gegenden wie dem Tretschbachtal und am Nonnenstromberg. 

Dass die kleinen Singvögel heute auch bei uns leben, fasziniert mich immer wieder, denn sie stammen vom anderen Ende der Welt. Die ältesten  Singvogelfamilien finden wir im Australien des Eozäns (vor 56,0-33,9 Millionen Jahren). Seither haben sie eine unglaubliche Vielfalt entwickelt und fast die ganze Welt besiedelt. Es ist eine lange Geschichte, und sie beginnt schon in der Kreidezeit.

Ursprung in der Kreidezeit

Vögel gab es schon im Mesozoikum. Nicht nur ganz frühe Vertreter wie den „Urvogel“ Archaeopteryx aus dem Oberjura, sondern in der Kreidezeit auch starke Flieger. Sie teilten ihren Lebensraum mit Dinosauriern („non-avian dinosaurs“ im Englischen) und Pterosauriern.

Nicht-fliegende und fliegende Dinosaurier

Technisch gesehen sind die Vögel Dinosaurier, sie haben sich aus den Coelurosauriern entwickelt und sind die einzige überlebende Gruppe innerhalb der Klade Dinosauria.

Auf dem Bild sehen Sie zwei Mirarce, die auf den Hörnern eines Utahceratops sitzen. Sie lebten vor 75 Millionen Jahren in Nordamerika (Kaiparowitz-Formation). Vor 70 Millionen Jahren flog Limenavis im heutigen Argentinien umher; unter seinen Zeitgenossen waren der Ankylosaurier Patagopelta und der Pterosaurier Aerotitan (Allen Formation). Oder Avisaurus, der ganz am Ende der Oberkreide mit so bekannten Dinosauriern wie Tyrannosaurus rex und Triceratops, dem Pterosaurier Quetzalcoatlus und vielen anderen in Nordamerika lebte (Hell-Creek-Formation, 68-66 Millionen Jahre alt).

Die Hauptlinien

In der Systematik der Vögel werden die Urkiefervögel (Palaeognathae) und Neukiefervögel (Neognathae) unterschieden. Zu den Urkiefervögel gehören die Straußenvögel (Struthioniformes) und Steißhühner (Tinamiformes); zu den Neukiefervögel die Hühner- und Gänsevögel (Galloanseres) und die Neoaves. Letztere sind eine große Gruppe mit den Columbea, das sind  Tauben, Flamingos, Lappentaucher und Sandhühner, und dann den Passerea mit allen anderen Neoaves-Arten. Hier  finden wir später die Singvögel. 

Fossilienfunde und molekulare Uhr

Wie viele Linien es schon viel früher in der Kreidezeit gab, wieviele überlebt haben, und wann diese unglaubliche Diversifizierung eingesetzt hat, ist eine spannende Frage.

Fossilienfunde sind eine Quelle. Freilich sind Vogelknochen fragil, und es müssen schon eine Reihe glücklicher Umstände zusammenkommen, damit sie versteinern, Millionen Jahre überstehen und in unseren Tagen gefunden werden. Die ältesten Fossilien stammen aus dem frühen Tertiär.

Neben den Fossilfunden gibt es die „molekulare Uhr“.  Diese Technik untersucht die DNA zweier Arten, die sich einst von einem gemeinsamen Vorfahren abgespalten haben. Je mehr Unterschiede man in der DNA-Sequenz findet, desto mehr Mutationen gab es. Dabei geht man davon aus, dass die Mutationen in einem bestimmten Rhythmus stattfanden, mit dem man rechnen kann. Anzahl der Mutationen mal Rhythmus ergibt dann den Zeitraum nach der Abspaltung.   Aus solchen Analysen geht hervor, dass sich mehrere bestehende Vogelordnungen, darunter die Sperlingsvögel, bereits in der Kreidezeit entwickelt haben könnten. Wohlgemerkt, könnten.

Die Vielfalt der Sperlingsvögel entsteht

Die aktuelle Forschung sieht den Schlüsselzeitraum der Artbildung in den ersten 15 Millionen Jahren nach der Kreide-Tertiär-Grenze; sie geht davon aus, dass sich die ersten Sperlingsvögel vor ungefähr 47 Millionen Jahren im  auf dem alten Südkontinent Gondwana, im heutigen Australien, entwickelt haben.

Mit mehr als 140 Familien und etwa 6.500 identifizierten Arten sind sie heute die größte Ordnung der Klasse Vögel. In der Systematik der Vögel werden sie in drei Gruppen unterteilt.

Stummelschwänze

Da sind zunächst die Stummelschwänze, die neuseeländischen Zaunkönige (Acanthisittidae) Oberflächlich betrachtet sehen sie den Zaunkönigen Amerikas, Eurasiens und Australiens ähnlich und verhalten sich auch ähnlich, sind aber nur wenig miteinander verwandt. Heute gibt es nur zwei Arten in zwei Gattungen, die in Neuseeland endemisch sind.

Wie sie nach Neuseeland gekommen sind, und was sie von den anderen anderen Sperlingsvögeln (Eupasserines) getrennt hat, ist umstritten.

Sing- und Schreivögel (Eupasserines)

Zwar zerfiel der einstige Südkontinent Gondwana zunehmend, doch Südamerika, Antarctica und Australien blieben bis ins frühe Eozän (vor 56,0 – 33,9 Millionen Jahren) verbunden. Dann entstand ein Seeweg zwischen Ostantarctica und Australien, und trennte auch die Vogelwelt der Region (dazu findet man unterschiedliche Zeitangaben). In Westantarctica und weiter nach Südamerika, Westgondwana, entwickelten sich die Schreivögel (Tyranni, Suboscines). Ihr Kehlkopf ist einfacher gebaut als der der Singvögeln.

Singvögel in Australien (basale australisch-ozeanische Familien)

In Australien, in Ostgondwana, breiteten sich die Singvögel (Passeri, Oscines) aus, und viele unterschiedliche Arten entstanden. Die Leierschwänze (Menuridae) und Dickichtvögel (Atrichornis) sind die älteste Linie der Singvögel überhaupt. Zu den basalen australisch-ozeanische Familien gehören auch die Laubenvögel (Ptilonorhynchidae) wie der Weißohr-Katzenvogel und die Honigfresser (Meliphagidae).

Wir sind immer noch im Eozän. Damals war das Klima warm, die Antarktis eisfrei, und der Meeresspiegel war hoch. Australien war isoliert; Tausende Kilometer weit weg war der nächsten Kontinent.

Singvögel besiedeln die Welt

Im Oligozän (vor 33,9-23,0 Millionen Jahren) wurde es deutlich kälter. Die Antarktis vereiste, und mit der Entstehung der Gletscher fiel der Meeresspiegel. Es bildeten sich Landbrücken und es tauchten Inseln auf, große Küstenebenen in Europa und an der Golf- und Atlantikküste Nordamerikas entstanden.

Neue Inseln entstehen

Im späten Eozän und frühen Oligozän kolliderte die australisch-pazifische Platte mit der pazifischen, so entstanden die Insel Neuguinea und dann der Melanesische Archipel. Als Neuguinea mit der Sulawesi-Platte und dem Ost-Philippinen-Archipel kollidierte, entstand der Sunda-Schelf, die südöstliche Ausdehung des Kontinentalschelfs von Südostasien mit Bali, Borneo, Java, Madura, Sumatra und die umliegenden kleineren Inseln. Am Ende des Oligozäns war der australasiatischen Raum verbunden, also die große australisch-papuanische Region, die Region Melanesien im Osten und die indo-malaiische Region im Westen.

Inselhopping und Artenexplosien

Nun war Australien nicht mehr isoliert; jetzt konnten Singvögel von dort aus von Insel zu Insel fliegen und schließlich fast die ganze Welt besiedeln. Dazu gibt es verschiedene Vermutungen. Eine Hypothese besagt „Asien zuerst“, also über Neuguinea und/oder den Sunda-Schelf nach Asien, und von dort weiter in die Welt. Die andere Hypothese, „Afrika zuerst“, ist nicht plausibel, denn Indien war inzwischen fest mit Asien verbunden, und eine Überquerung non stop von Australien nach Afrika ist unwahrscheinlich.

Ein komplexer Stammbaum

Heute gehören die Singvögel zu den größten Vogelfamilien; ihr Stammbaum ist sehr komplex, immer „work in progress“, und in der Literatur finden man oberhalb der Familienebene (-dae) unterschiedliche Bezeichnungen. Vielleicht ist es einfacher, sich an das aktuelle Kladogramm zu halten: danach gibt es die basalen-australischen-Gruppen, die Corvides und die Passerides, letztere teilen sich auf in die Sylviida, die Muscapida und die Passerida.

Corvides

Zu den Corvides gehören die Rabenvögel und viele andere, die wir heute fast auf der ganzen Welt finden, so u.a. in Afrika die Würger, die Pirole in Eurasien, und in der Neuen Welt die Vireos. Zu den Rabenvögel gehören u.a. die Blauhäher, Krähen, Raben, Saatkrähen, Dohlen, Eichelhäher (Garrius glandarius), Elstern, Baumfalken und Nussknacker.

Passerides

Die dritte Gruppe sind die Passerides, sie sind weit artenreicher als alle basalen und Corvides-Familien zusammen. Im späten Oligozän und frühen Miozän, fast zeitgleich mit der Freilegung des Sunda-Schelfs, verbreiteten sie tief nach Eurasien und Afrika, zogen umher, dabei kam es zu weiteren explosionsartigen Ausbreitung neuer Linien. Mitglieder der Passerida erreichten Amerika, wahrscheinlich über die Bering-Landbrücke.

Innerhalb der Passerides haben wir drei Kladen: die Sylviida, die Muscicapida und die Passerida.

Sylviida

Zu den Sylviida gehören etwa 1300 Arten, darunter die Kleiber, Meisen, Zaunkönige, Schwalben, Timalien, Lerchen, Bülbüls, Zilpzalps, Säbelschnäbler und Grasmückenartige. Als erste Überfamilie der Passerida haben sie sich im späten Oligozän in der Alten Welt verbreitet, vor allem in Afrika und Eurasien. Heute umfassen die Sylvioidea mehr in der Alten Welt beheimatete Gattungen als die Muscicapida und Passerida.

Muscicapida

Zu den Muscicapida gehören etwa 670 Arten, darunter die Fliegenschnäpper wie das Rotkehlchen (Erithacus rubecula), die Nachtigall (Luscinia megarhynchos) und die Rotschwänze aus der Alten Welt, Drosseln, Seidenschwänze, Stare und ihre Verwandten in der Alten Welt.

Passerida

Mit über 20 Familien und 1500 Arten sind die Passerida die artenreichste Gruppe. Während des Oligozäns und des Miozäns haben sie sich immer wieder neu verzweigt. Zu ihren gehören u.a. die Lerchen, Pieper und Bachstelzen, Männchen, Weber, Sperlinge, Finken, Waldlaubsänger, Eisvögel, Tangaren.

Auch die Sperlinge gehören zu den Passerida. Es ist schon etwas zum Schmunzeln, wenn wann Dinosaurier-Kladen nachschlägt, z.B. Paraves, und dann zunächst auf ihn stößt: Der Spatz, unser Haussperling (Passer domesticus).

Wikipedia, Paraves

Zu den Passerida gehört die Überfamilie der Emberiozoidea, die vor allem in der Neuen Welt vorkommt. Dazu gehören die Altweltammern, die Kardinäle, Tangaren und Verwandte, Neuweltammern, Waldsänger und Stärlinge, sowie einige kleine Familien. Das sind die „New World nine-primaried oscines“, Singvögel mit neun sichtbaren Handschwingenfedern.

In diese Überfamilie gehören auch die Finken; sie sind weltweit verbreitet.  Viele Vögel heißen „Finken“, so die Prachtfinken; im engeren Sinne sind die  Edelfinken, Stieglitzartigen und Organisten gemeint. Bei uns zuhause sind u.a. der Dompfaff oder Gimpel (Pyrrhula pyrrhula) und der Buchfink (Fringilla coelebs).

Zwei Familien, Altweltammern und die Sporn- und Schneeammern, kehrten nach Eurasien zurück und kolonisierten dort. Zu den Altweltammern gehört auch die Goldammer (Emberiza citrinella), die häufigste Ammernart in Europa.

Zurück zur Vogeluhr

Früh um 03:00 singt der  Gartenrotschwanz M, dann um 03:10 das Rotkehlchen M, um 03:15 die Amsel M, um 03:20 der Zaunkönig S, um 03:30 der Kuckuck, um 03:45 die Kohlmeise S, um 03:50 der Zilpzalp (S), um 04:00 der Buchfink P, um 04:20 der Haussperling P, und schließlich um 04:40 der Star M.

Wobei der Kuckuck nicht zu den Singvögel gehört. Er bildet zusammen mit den Turacos und den Trappen die Klade Otidimorphe.

Der NABU bietet auf seiner Webseite eine besonders schöne, interaktive Vogeluhr an.

https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/vogelkunde/voegel-bestimmen/20663.html

Genieße wir den Gesang der Vögel. Und auch, dass uns ein paar Dinosaurier geblieben sind.

Oliveros et. al. „Earth History and the Passerine Superradiation“ von 2019.

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